65 Einsprachen gegen den Ausbau der Grauholz-Autobahn auf 8 Spuren

Gegen die Verbreiterung der Autobahn N1 zwischen Bern-Wankdorf und Schönbühl sind beim Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) nicht weniger als 65 Einsprachen eingegangen. Dies hat das UVEK-Generalsekretariat am 3. November 2022 den Einsprechenden und den involvierten Bundesämtern mitgeteilt. Es hat dem Bundesamt für Strassen (ASTRA) bis zum 17. Januar 2023 eine Frist zur Stellungnahme gesetzt.

Alle direkt betroffenen Gemeinden haben Einsprache erhoben

Bei 15 der 65 Einsprachen sei die Einsprache-Legitimation laut UVEK nicht gegeben oder noch in Abklärung. (NACHTRAG vom Februar 2023: Die Frist zur inhaltlichen Stellungnahme zu 51 unbestrittenen Einsprachen ist vom UVEK mittlerweile verlängert worden; das Astra hat nun bis 31.3.2023 dafür Zeit.) Zweifellos zu Einsprachen legitimiert sind die Gemeinden entlang der Ausbaustrecke, in denen die umfangreichen Auflageakten vom 26. September bis zum 25. Oktober 2022 eingesehen werden konnten. Alle diese direkt betroffenen Gemeinden haben selber Einsprache erhoben. Neben der Stadt Bern haben auch Bolligen und Zollikofen grundsätzliche Einwände erhoben und die Nicht-Genehmigung des 429 Millionen Franken teuren Projekts verlangt. Die (mehrheitlich bürgerlichen) Gemeinderäte der beiden Agglomerationsgemeinden begründen ihre Einsprache unter anderem mit der klaren Zustimmung ihrer Stimmberechtigten zum Klimaschutz-Artikel in der Kantonsverfassung und dessen Vorgabe zum Einsatz für das Netto-Null-Ziel bis 2050.

Die anderen Gemeinden entlang der Grauholz-Autobahn – Ittigen, Moosseedorf und Urtenen-Schönbühl – haben in ihren Einsprachen vielfältige Kritik an ortsbezogenen Projektteilen vorgebracht und wollen mit ihren Einsprachen konkrete Verbesserungen erreichen. Auch Bern, Bolligen und Zollikofen haben ihre Einsprachen zum Vorbringen von konkreten Anträgen für den Fall genutzt, dass das bekämpfte Projekt weiterverfolgt wird.

Der Verein SPURWECHSEL hat alle erwähnten Gemeinden um detaillierte Informationen über die Einsprachen gebeten und dokumentiert die erhaltenen Auskünfte (siehe Box weiter unten).

Im Berner Stadtparlament ist bereits im April 2022 eine interfraktionelle Motion «Kein Kapazitätsausbau der Autobahn im Grauholz!» eingereicht worden; der Gemeinderat hat dazu am 22. Oktober 2022 Stellung genommen; er nimmt die verschiedenen Aufträge der Motion als Richtlinie entgegen.

Einsprachen von VCS, Pro Velo, WWF und Ortsparteien…

Weitere Einsprachen sind auch von beschwerdeberechtigten Organisationen eingereicht worden, so namentlich von der VCS-Sektion Bern, von Pro Velo Bern und vom WWF Bern. Verschiedene Ortsparteien der SP, der Grünen und der GLP haben eigene Einsprachen deponiert und/oder ihre jeweiligen Gemeindebehörden zu Einsprachen aufgefordert. (Dem Verein SPURWECHSEL sind insbesondere folgende Einsprachen bekannt: SP Bolligen, SP Ittigen, SP Urtenen-Schönbühl, Grüne Bantiger (betr. Ittigen und Bolligen), Grüne Freie Liste GFL Zollikofen, Grüne Grauholz (betr. Moosseedorf, Urtenen-Schönbühl.)

… sowie vom Bauernverband und betroffenen Landwirten

Auch der Berner Bauern Verband und verschiedene Landwirte, die unter Androhung von Enteignung eigenes oder gepachtetes Land für die Verbreiterung der Autobahn abtreten müssten, haben Einsprachen deponiert (Die Berner Tageszeitung «Der Bund» und die «Berner Zeitung» haben darüber berichtet). Weitere Einsprachen stammen von anderen Privaten, die Nachteile für ihre Liegenschaften und insbesondere zusätzlichen Lärm befürchten (dem Verein Spurwechsel sind solche Einsprachen von Privatpersonen und Firmen insbesondere aus Moosseedorf und Urtenen-Schönbühl bekannt). Als Landbesitzerin hat auch die Burgergemeinde Bern Einsprache erhoben.

Gegen den 8-Spur-Ausbau hat sich in einem Leserbrief in der Tages- und Bauernpresse schon zu Beginn des Auflageverfahrens eine markante bäuerliche Stimme zu Wort gemeldet: Fritz Ruchti, von 2006 bis 2022 SVP-Grossrat aus Seewil. Direkt betroffene Landwirte wie beispielsweise Christian Salzmann (Bolligen) und Peter Wyss (Ittigen) haben ihre Einsprachen in den Medien begründet. Und zur Einsprache der Gemeinde Bolligen hat sich mit Vizegemeindepräsidentin Marianne Zürcher auch eine Bäuerin aus der SVP pointiert geäussert: «Man muss nicht links sein, um hier ein Zeichen zu setzen.» Und: «Landwirtschaftsland zu opfern, das finde ich als Bäuerin nicht zeitgemäss.» (www.bern-ost.ch)

Wie weiter mit den Einsprachen im UVEK?

In einem TV-Beitrag von «Telebärn» hat Gemeindepräsident Daniel Bichsel (SVP) die Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass «der Bund respektive das zuständige Departement» die Einsprachen der Gemeinden «nicht in den Wind schlagen» wird. Das federführende UVEK hat angekündigt, dass (neben dem ASTRA) die aufgrund ihrer Fachgebiete zuständigen Bundesämter «zu gegebener Zeit» auffordern werde, «zum Projekt und zu den Einsprachen Stellung zu nehmen».

Das UVEK kann Einspracheverhandlungen durchführen; auch Einigungsgespräche zwischen dem Astra und einzelnen Einsprechern sind möglich. Nach Abschluss allfälliger Einspracheverhandlungen und Vorliegen aller Stellungnahmen entscheidet das UVEK über die verbliebenen Einsprachen, Enteignungen und Projektänderungsanträge. Falls es die Plangenehmigung für das Ausbauprojekt erteilt, können Einsprechende beim Bundesverwaltungsgericht dagegen Beschwerde erheben. Anschliessend wäre auch noch ein Weiterzug ans Bundesgericht in Lausanne möglich.


Übersicht über die Einsprachen der Gemeinden

Gemeinde Bolligen (Medienmitteilung und Angaben aus SPURWECHSEL-Einsichtnahme in Einsprache):
Die Gemeinde Bolligen hat den Ausbau der Grauholz-Autobahn (die über unüberbautes Gemeindegebiet hinweg führt) im Jahr 2017 noch grundsätzlich unterstützt. Nachdem der Klimaschutz-Artikel der Kantonsverfassung in Bolligen mit 71,5 Prozent Ja-Stimmen überdurchschnittlich hoch angenommen worden ist, lehnt der Gemeinderat in seiner Einsprache das Projekt nun grundsätzlich ab: wegen des Verlusts an Landwirtschaftsland und Wald, nachteiliger Auswirkungen auf Landschaft und Biodiversität sowie wegen der Nichtvereinbarkeit mit dem Klimaartikel. Der Gemeinderat fordert, den zunehmenden Strassengüterverkehr forciert auf die Schiene zu verlagern und innovative Alternativen zum Autobahn-Ausbau anzustreben, beispielsweise intelligentes Verkehrsmanagement, die Nutzung des Pannenstreifens zu Stosszeiten, Sharing-Angebote etc.
 
Gemeinde Ittigen (Mitteilung der Gemeinde auf Anfrage):
«Die Gemeinde erhebt Einsprache, jedoch nicht grundsätzlicher Natur, sondern zu einzelnen Punkten, die sie besonders betreffen. Es geht ihr um die Wahrung der Interessen der Gemeinde in Bezug auf den Lärmschutz, die betroffenen Naturobjekte (Biotop, Trockenstandorte), ihr Grundeigentum (Liegenschaft KiJuFa, Wege) und die Unterführung Länggasse (Schaffung einer separaten Fuss- und Veloverbindung).»
 
Gemeinde Moosseedorf (Auszug aus der grundsätzlichen Stellungnahme in der Einsprache):
«Das Projekt muss nachhaltig den Zielen der Gemeinde Moosseedorf in Bezug auf Verkehr, Natur, Gewässer, Erholung, Lebensqualität und wirtschaftlicher Entwicklung entsprechen. Die Bevölkerung verlangt mit Nachdruck die dafür notwendigen Massnahmen. Die Massnahmen wurden im Projekt zum Teil berücksichtigt und zum Teil abgewiesen.» Die Einsprache unterstreicht die Wichtigkeit der Massnahmen aus Sicht Gemeinde.» Konkret sind in der Einsprache 15 Anträge formuliert: für Verbesserungen betr. Lärmschutz, Aufhebung von Flurwegen, Revitalisierung von Gewässern, Biodiversitätsflächen, Verbesserungen für Fuss- und Veloverkehr sowie Baustellenverkehr.
 
Gemeinde Urtenen-Schönbühl (Auszug aus der Mitteilung auf der Website der Gemeinde):
«Begründet wird die Einsprache mit den fehlenden Lärmschutzmassnahmen entlang der Ausfahrten der N01 und der N06 sowie dem drohenden Engpass resp. Flaschenhals beim neu geschaffenen Übergang von 4 auf 2 Spuren beim Abschnitt Wankdorf – Schönbühl. Dieser werde aus Sicht der Gemeinde zu einem Verkehrskollaps und unhaltbaren Zuständen führen. Zudem weist die Gemeinde in ihrer Einsprache ausdrücklich darauf hin, dass die geplante Kapazitätserweiterung nur funktionieren werde, wenn das vorgesehene Folgeprojekt Schönbühl – Kirchberg auch tatsachlich realisiert wird.»
 
Gemeinde Zollikofen (direkt betroffen wegen Hauptinstallationsplatz auf Gemeindegebiet, Info aus Website und Einsprache)
Neben der Ablehnung aus Gründen des Klimaschutzes macht Zollikofen auch auf den grossen Energiebedarf für das Ausbauprojekt aufmerksam, ebenso auf den Verbrauch nicht versiegelter Landflächen (Wald, Hecken, Landwirtschaftsland), was den Zielen des Landschaftsschutzes und der Biodiversität entgegenlaufe. Falls der Ausbau dennoch erfolgen sollte, fordert Zollikofen, dass die Autobahnunterführung Länggasse für den Fuss- und Veloverkehr verbreitert, die Lärmbelastung für Zollikofen reduziert, flankierende Massnahmen zur Steuerung des Durchgangsverkehrs geprüft und während der Bauzeit der zusätzliche Verkehr durch das Baustellenpersonal mittels Mobilitätskonzept und gegebenenfalls durch Massnahmen beschränkt wird.
 
Stadt Bern (keine Projektteile auf Stadtgebiet; Info aus Medienmitteilung und Einsprache)
Die Stadt Bern legt in ihrer Einsprache ausführlich dar, weshalb sie zur Wahrung ihrer Interessen und zum Schutz der Einwohnerinnen und Einwohner zur Einsprache legitimiert ist. Sie lehnt das Ausbauprojekt grundsätzlich ab, weil es nicht vereinbar ist mit der städtischen Energie- und Klimastrategie wie auch nicht mit der Klimastrategie 2050 des Bundes mit dem Netto-Null-Ziel bis 2050. Angesichts der nachteiligen Auswirkungen (mehr Lärm, Verlust von Landwirtschaftsland und Waldflächen, Nachteile für schutzwürdige Lebensräume und Artenvielfalt) wirft die Stadt auch die finanzpolitische Frage auf, ob die geplante Investition von rund 430 Millionen Franken gerechtfertigt ist. Sie fordert eine Neubeurteilung der Zweckmässigkeit gestützt auf eine Gesamtverkehrsbetrachtung in der Region Bern-Mittelland. Für den Fall einer Ausbaubewilligung sei sicherzustellen, dass es zu keiner Mehrbelastung des städtischen Strassennetzes kommt.