Der Bundesrat will zwölf Milliarden Franken in die Autobahnen investieren – fast fünf Milliarden Franken allein für den “Ausbauschritt 2023” mit fünf umstrittenen Projekten, davon zwei in der Region Bern. Der Verein Spurwechsel appelliert ans Parlament, den beantragten Kredit abzulehnen und insbesondere die Kapazitätserweiterungen der N1 nördlich von Bern zu stoppen. Sollte dies nicht geschehen, behält sich der Verein Spurwechsel eine aktive Beteiligung am dann zu erwartenden Referendum vor. Denn die geplanten Ausbauten sind schädlich fürs Klima, verbrauchen Kulturland und Wald, verursachen Mehrverkehr und Lärm – und sie werden effektiv mehr kosten als jetzt beantragt!
Zum «Ausbauschritt 2023», den der Bundesrat am 22. Februar 2023 dem Parlament zusammen mit weiteren Vorlagen beantragt hat, gehören zwei Kapazitätserweiterungen im Norden der Stadt Bern:
- Die Grauholz-Autobahn zwischen Bern-Wankdorf und Schönbühl soll – als erster bedeutender Autobahn-Abschnitt der Schweiz – für 253 Mio. CHF von sechs auf acht Spuren ausgebaut werden. Dagegen sind im laufenden Plangenehmigungsverfahren mehr als 50 Einsprachen hängig.
- Das anschliessende Teilstück Schönbühl – Kirchberg soll für 239 Mio. CHF von vier auf sechs Spuren verbreitert werden und entgegen früheren Ankündigungen weiterhin Pannenstreifen aufweisen – was den Kulturlandverlust massiv vergrössert. Das Plangenehmigungsverfahren, in dem Einsprachen möglich sind, findet laut Auskunft des zuständigen Bundesamts erst ca. 2024/2025 statt.
Für den Verein Spurwechsel ist es absolut unverständlich, dass der Bundesrat diese Vorhaben, die das Bundesamt für Strassen (Astra) seit Jahren propagiert, unverändert in den Antrag ans Parlament aufgenommen hat. Es ist stossend, dass er die Ausbauten offensichtlich ohne Rücksicht auf wachsenden regionalen Widerstand durchdrücken will, ohne Rücksicht auf die Klimaziele von Bund, Kanton Bern und Gemeinden – und zudem noch mit argumentativen Schlaumeiereien:
- Keine Rücksicht auf über 50 Einsprachen: Gegen den Ausbau der Grauholz-Autobahn sind mehr als fünfzig Einsprachen hängig, von Landwirten, Waldbesitzenden und anderen betroffenen Personen, aber auch von allen Organisationen und allen betroffenen Gemeinden (darunter die mehrheitlich bürgerlich regierten Agglomerationsgemeinden Bolligen und Zollikofen wie auch die rotgrün beherrschte Stadt Bern); wie erst nachträglich bekannt wurde, hat sogar der Kanton Bern eine Einsprache deponiert. Vier Monate haben dem Astra offensichtlich nicht gereicht, um zu den Einsprachen Stellung zu nehmen, weshalb die Frist grosszügig erstreckt wurde. Noch bevor die gebotene ernsthafte Auseinandersetzung mit den grundsätzlichen Einwänden begonnen hat, prescht der Bundesrat mit seinem Baukredit-Antrag ans Parlament vor.
- Keine Rücksicht auf den Klimaschutz: Die Klimastrategie 2050 des Bundes hat zum Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Netto-Null zu senken. Die Berner Kantonsverfassung verpflichtet zum Erreichen dieses Ziels. Und was trägt der Autobahn-Ausbau auf Berner Boden dazu bei? Nichts – oder schlimmer noch: das Gegenteil. «Die Umsetzung des Ausbauschrittes 2023 führt zu einer Erhöhung der Fahrleistungen und damit zu höheren Emissionen von Luftschadstoffen und Klimagasen.» Das hat die «Nachhaltigkeitsbewertung» des Bundes ergeben, auf deren positives Fazit sich der Bundesrat nun beruft. Positiv ist es aber nur darum ausgefallen, weil die Klimaschädigung, die Luftverschmutzung, die Lärmbelastung und der Landverbrauch in Franken und Rappen weniger gewichtet wurde als der Reisezeitgewinn dank weniger Stau.
- Argumentative Schlaumeiereien: Zu den Schlaumeiereien der Ausbau-Promotoren gehört auch, dass sie drei der fünf Projekte im Ausbauschritt 2023 als Tunnellösungen anpreisen, die sowohl die Lärmbelastung als auch den Landverbrauch minimieren. Der auf den beiden Berner Ausbauten verursachte Ausstoss von jährlich zusätzlich 5’500 Tonnen CO2 wird mit dem Hinweis relativiert, dass ein Teil davon nur auf die Verkehrsverlagerung vom umliegenden Strassennetz auf die Autobahn zurückzuführen sei und die Netto-Mehrbelastung fürs Klima folglich kleiner sei. Die dem Parlament beantragten Kosten beruhen auf dem Tiefbaupreisindex-Stand vom April 2020; wegen der seither markant gestiegenen, vielbeklagten Teuerung sind die effektiven Kosten aktuell mehr als zehn Prozent höher – und in Zukunft wohl weiter steigend; nicht von ungefähr ist in den Kreditanträgen eine Kompetenzklausel für den Bundesrat zur Anpassung an die Teuerung enthalten. Und schliesslich kommen auf den Strecken, die um 2 Fahrspuren verbreitert werden sollen, zu den deklarierten Ausbaukosten noch massive Erneuerungskosten für die bestehenden Fahrspuren hinzu. Allein für das 8-Spur-Projekt am Grauholz sind die Gesamtkosten im Einspracheverfahren auf 429 Millionen Franken beziffert worden – und nicht bloss auf die jetzt im Ausbaukredit ans Parlament offen ausgewiesenen 253 Millionen Franken.
Insgesamt bestätigt die Ausbau-Botschaft des Bundesrats ans Parlament aus Sicht des Vereins Spurwechsel leider, dass die Zeichen der Zeit nicht erkannt wurden und neuere, niedrigere Verkehrsprognosen weiterhin ignoriert werden. Allein in der Region Bern sollen im Endeffekt nach bundesrätlicher Zählweise rund 875 Mio. CHF in reine Kapazitätsausbauten gesteckt werden – nach aktuellem Teuerungsstand und die erwähnte Stadtreparatur nicht eingerechnet sage und schreibe eine Milliarde!
Nein auch zu nachfolgenden Kapazitätsausbauten
Wenn das Parlament nicht Gegensteuer gibt, wird der Ausbau der N1 nördlich von Bern das Startsignal zur am Ende durchgehenden Verbreiterung der Autobahnen geben. In der Botschaft werden denn auch weitere Ausbauten angekündigt: nach der «Stadtreparatur» Wankdorf – Muri (bis 2030 / Kosten: 1694 Mio. CHF) auch der Ausbau des Teilstücks Weyermannshaus – Wankdorf (bis 2040 noch ohne klare Angaben, ob dies einen zweiten Viadukt erfordern würde / 246 Mio. CHF) und Muri – Rubigen (nach 2040 / 137 Mio. CHF).
Der Verein Spurwechsel bekräftigt sein Nein zu jeglichen Kapazitätsausbauten und appelliert ans Parlament, seine eigenen Klimaziele ernst zu nehmen und die Verkehrspolitik endlich darauf auszurichten. Zum Erreichen des Netto-Null-Ziels bis 2050 muss der Strassenverkehr, der rund 32 % der CO2-Emissionen der Schweiz verursacht, endlich seinen wachsenden Beitrag leisten.