Ein Abend voll engagierter Debatten und aber nur teilweise frischer Ideen: Beim Abstimmungs- und Wahlpodium ging es um die Zukunft der Berner Verkehrspolitik. Die Kandidierenden legten sich zu Autobahnprojekten, Verkehrsbeschränkungen und einer visionären, autofreieren Stadt Bern ins Zeug – mit klaren Standpunkten und überraschenden Einblicken.
Trotz des dröhnenden und rauchenden Verkehrsmonsters itself, das die rund 50 Teilnehmenden bereits vor dem Uni-Hauptgebäude in Empfang nahm, war die Stimmung im schlichten Hörsaal der Universität Bern zu Beginn des Podiums erwartungsvoll und aufgeräumt. Laura Binz – Co-Präsidentin Läbigi Stadt – startete mit einem pointierten Überblick über die aktuellen Debatten zur Verkehrspolitik anhand diverser jüngerer Artikel aus Bund und BZ. Ein Artikel titelte: „Im Kriechgang zu weniger Autos in der Stadt Bern“. Dies brachte die Grundstimmung der an der Organisation des Podiums beteiligten Organisationen und die Motivation, dies mit den neuen GR-Kandis zu diskutieren, auf den Punkt: Das Tempo des Gemeinderats in Sachen Verkehrswende ist ausbaufähig.
Die Aufwärmrunde
Die Themenpalette der Aufwärmrunde war breit gefächert: Von der Sicherheitslage für Velofahrende – Stichwort „Badenudel“ als Symbol für sichere Überholabstände – über das Manifest für eine autofreie Altstadt und der Wichtigkeit des Fussverkehrs bis hin zur Frage, was denn die Formulierung „ausgewogene Verkehrspolitik“ bedeuten könnte.
Der Hauptaufhänger: Autobahn-Ausbau
Der erste Diskussionspunkt kreiste um die kommende Abstimmung zum umstrittenen Autobahnausbau am 24. November. Hier zeigten sich Matthias Aebischer (SP), Ursina Anderegg (GB) und Melanie Mettler (GLP) solidarisch in ihrer Ablehnung – abgesehen von einem kleinen Geplänkel über die Frage, wer jetzt grüner sei: GLP oder SP? Die Vorlage wurde als Rückschritt und als Zeichen einer auf die Vergangenheit gerichteten Verkehrspolitik bezeichnet. Speziell schlecht sind die beiden Ausbauprojekte im Norden von Bern für die Stadt und Agglomeration Bern angekommen: Mehr Autoverkehr in den Quartieren und mehr Stau auf mehr Spuren sei die Folge.
Ein erstes Mal zeigte sich der Graben zwischen SP, Grünen und GLP auf der einen und der bürgerlichen FDP auf der anderen Seite: Florence Pärli (FDP) will dem Autobahnausbau zustimmen, weil ihr wichtig ist, dass der Gewerbeverkehr und diejenigen, die auf das Auto angewiesen sind, auf der Autobahn vorwärtskommen. Matthias Aebischer (SP) konterte, dass wir fast keinen Autoverkehr mehr hätten, wenn nur das Gewerbe und Menschen mit besonderen Bedürfnissen (gegen die niemand auf dem Podium etwas hatte) Autofahren würden. Das Hauptproblem, betonte er, seien vielmehr jene, die Alternativen hätten, aber dennoch das Auto bevorzugten (z. B. der so genannte «Freizeitverkehr»).
Florence Pärli (FDP) argumentierte auch, dass der Ausbau durch die Autofahrenden selbst finanziert werde (durch die Benzinsteuer). Matthias Aebischer (SP) und Markus Heinzer (Spurwechsel) mussten jedoch entgegnen, dass die externen Kosten wie Gesundheitsschäden oder Klimafolgen leider weiterhin von der gesamten Gesellschaft getragen werden – Kosten, die sich mit einem Autobahnausbau noch verschärfen würden.
Symbol und Streitpunkt: Die Berner Verkehrsmonster-Initiative
Im weiteren Verlauf kam die Verkehrsmonster-Initiative des Vereins Spurwechsel ins Gespräch. In dieser Frage steht der Berner Gemeinderat bekanntlich in der Stadt allein auf weiter Flur: Eine grosse Mehrheit des Stadtrats lehnt das Projekt ab, ebenso vereint die Verkehrsorganisationen und alle Parteien von ganz links bis und mit GLP und EVP. Einig waren sich Aebischer, Anderegg und Mettler, dass das Projekt Anschluss Wankdorf, das quasi die Grundlage für die Ausbaupläne im Norden (Abstimmungsvorlage 24.11.) bildet, zu Mehrverkehr führen und damit ein veraltetes, autolastiges Verkehrskonzept unterstützen würde. Ursina Anderegg (GB) und Melanie Mettler (GLP), beide im Verein Spurwechsel Mitglied, äusserten ihre volle Unterstützung der Initiative. Matthias Aebischer (SP) erklärte ebenfalls seine Zustimmung zur Initiative, auch wenn er gewisse Zweifel daran äusserte, ob die Initiative angesichts der Kompetenzenverteilung den erhofften Effekt erzielen würde (Nationalstrassen sind in Bundeskompetenz). Aus dem Publikum wurde dazu vehement eingebracht, dass wir zwar keine Chance haben, diese aber nutzen sollten 😉. Florence Pärli möchte sich zuerst ein genaueres Bild der Sachlage machen, bevor sie sich konkret zum Wankdorf-Ausbauprojekt äussert. Der ebenfalls im Publikum anwesende heutige Stadtpräsident Alec von Graffenried wehrte sich kurz und lautstark. Er vertritt die Meinung, dass der Gemeinderat dieses Projekt seit Jahren mitentwickelt hatte und jetzt nicht einfach einen Rückzieher machen könne. Dabei sollte doch erlaubt sein, im Lauf der Zeit gescheiter zu werden!
Die Ideen für die Reduktion des Autoverkehrs
Wie kann Bern den hausgemachten Ziel- und Quellverkehr, der rund 80 % des Autobahnverkehrs ausmacht, effektiv reduzieren? Die Podiumsteilnehmenden zeigten sich offen für Ideen wie Parkplatzabbau, Förderung des öffentlichen Verkehrs und die Umwandlung von Strassenflächen in klimaaktive Zonen. Anderegg schlug vor, stärker in Richtung Superblocks und quartiersübergreifende autofreie Bereiche zu denken, während Mettler die Idee des Shared-Mobility-Ansatzes betonte. Florence Pärli signalisierte bei einigen Punkten Diskussionsbereitschaft, und sprach sich in diesem Bereich für die Verlagerung der Parkplätze in den Untergrund aus. Dies wurde kontrovers diskutiert (auch weil aktuell Pläne für ein Parkhaus unter der Allmend kursieren), da hohe Kosten entstehen und so keine verkehrslenkende Wirkung erzielt wird.
Das fehlende Gesamtkonzept und die Veloförderung als Knackpunkte
Der letzte Abschnitt drehte sich um die Kritik von ProVelo Bern und VCS Bern, dass die Veloförderung in Bern stocke. Während Aebischer seine Parteikollegin und Verkehrsverantwortliche Marieke Kruit in Schutz nahm und die Fortschritte hervorhob, betonte Anderegg ihr Unbehagen darüber, dass die Anliegen des Veloverkehrs häufig zurückstecken müssten. Sie und Mettler mahnten die Notwendigkeit eines Gesamtverkehrskonzepts an, das über bisherige Einzelmassnahmen hinausgeht und eine sichere Verkehrszukunft für alle Verkehrsteilnehmenden schafft. Florence Pärli stellte sich ebenfalls hinter die Forderung nach einem umfassenden Konzept, dies aber mit der Nuance, dass die Bedürfnisse aller Verkehrsmittel (also auch der Autofahrenden) gleichermassen berücksichtigt werden. Bei der Dringlichkeit zusätzlicher Sicherheitsmassnahmen für Velofahrende waren sich am Ende alle einig.
Nun bleibt abzuwarten, ob die Impulse aus dem Podium nach den Wahlen auch ihren Weg in die Berner Verkehrspolitik finden. Immerhin dürften mindestens drei der Podiumsteilnehmenden bald im Gemeinderat gemeinsam über die Zukunft der Stadt Bern entscheiden.
Bericht: Markus Heinzer, Präsident Verein Spurwechsel
(Dieser Bericht entstand am Folgetag aus der Erinnerung und unter Mithilfe von chatGPT. Er kann unmöglich alle Voten gerecht abbilden. Dafür entschuldigt sich der Autor präventiv…).
Medienbeitrag:
Die folgenden Fotos stammen von Martin Bichsel. Herzlichen Dank!