Kulturland-Verlust konkret: Augenschein bei einem betroffenen Landwirt an der Grauholz-Autobahn

Auf dem 6 km langen Abschnitt zwischen Bern-Wankdorf und Schönbühl wird die erste achtspurige Autobahn der Schweiz geplant. Das Vorhaben ist Teil des 5,3 Milliarden-Kredits, der am 24. November zur Abstimmung gelangt. Auf einer Begehung vor Ort hat ein betroffener Landwirt erläutert, weshalb er sich gegen den drohenden Kulturlandverlust wehrt.

«Die Aussicht, dass der 8-Spur-Ausbau der Autobahn hier in der Gegend mehr Lärm bringen und Kulturland vernichten wird, tut mir einfach sehr weh». Das sagte beim Ortstermin bei der «Krähenbrücke» an der Grauholz-Autobahn der Ittiger Bürger Samuel Moser. Er erklärte so, weshalb er auf die Idee des Informationsanlasses vor Ort gekommen war und für den 20. September eine Begehung mit einem betroffenen Landwirt organisiert hat, unterstützt vom Berner Verein Spurwechsel und der regionalen Gruppierung www.verkehr.be

«Vom unsinnigen Projekt mehrfach betroffen»

«Ich bin mehrfach von diesem unsinnigen Projekt betroffen», sagt beim Grauholz-Ortstermin Christian Salzmann. Er führt einen Bauernbetrieb in Habstetten (Bolligen) und bewirtschaftet einige Parzellen entlang der Autobahn: Der geplante Ausbau von 6 auf 8 Fahrspuren beanspruche bei ihm einen fast 300 m langen Streifen Kulturland; es werde auch Wald gerodet, und die geplante Verlegung der Erdgas-Hochdruckleitung werde eine 8 m breite Bauschneise durch seinen Wald und über sein Land ziehen.

Landwirt Salzmann gehört denn auch zu  den betroffenen Bauern, die vor zwei Jahren Einsprache gegen das Ausbauprojekt erhoben haben – wie übrigens auch der Berner Bauern Verband: Dessen Einsprache wurde jedoch vom zuständigen Departement von Bundesrat Albert Rösti (UVEK) und später auch vom Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen. 65 Einsprachen sind vor bald zwei Jahren beim UVEK eingereicht worden – seither warten rund 50 Einsprechende auf den erstinstanzlichen Entscheid: Private, alle betroffenen Gemeinden und natürlich auch Umweltverbände wie Pro Natura, WWF und Verkehrsclub der Schweiz (VCS). Der Landwirt Christian Salzmann, der besonders unter den Auswirkungen leiden würde, wird uns über sein Land im Grauholz-Abschnitt führen und konkret erläutern, was der 8-Spur-Ausbau für ihn für Folgen hätte.

Problemlösung? «Heute glaubt das niemand mehr»

Er sei bereits vor fünf Jahren erstmals über das Projekt informiert worden: vom Bundesamt für Strassen (ASTRA), mit ersten «Enteignungsplänen», aber noch in «anständigem Ton», berichtet Christian Salzmann vor den überraschend zahlreich erschienenen Teilnehmenden des Info-Anlasses auf seinem Land. Aber an den nachfolgenden Zusammenkünften sei «der Ton mit jedem Mal aggressiver und arroganter» geworden. Zu seiner Einsprache (wie auch zu den anderen) habe das ASTRA nur «sehr oberflächlich» Stellung genommen – «man spürte, dass sie überzeugt sind, das Gesetz und das Parlament im Rücken zu haben.»

Die Argumentation für den 8-Spur-Ausbau tönt für Landwirt Salzmann «sehr ähnlich bis haargenau gleich» wie vor 30 Jahren, als es auch auf seinem Land um den damaligen 6-Spur-Ausbau ging: «Man muss die Autobahn verbreitern – dann gibt es keinen Stau mehr.» Die Erfahrung zeige, dass das nicht funktionierte. Und auch die Wissenschaft bestätigt längst: Mehr Strassen bringen mehr Verkehr. Einen grossen Unterschied zur damaligen Diskussion stellt Christian Salzmann jedoch fest: «Damals waren alle Befürworter überzeugt, dass der Ausbau eine Problemlösung ist – heute glaubt das niemand mehr: Man führt nur noch einen Auftrag aus.»

Existenzgrundlage opfern für «heilige Kuh»?

Er wehre sich gegen den drohenden Landverlust, auch wenn er nur einen kleinen Teil seiner Betriebsfläche betreffe. «Niemand gibt sein Kulturland gerne her – schon gar nicht für so ein unsinniges Projekt», sagt Christian Salzmann. «Ich brauche den Boden als Landwirt zum Produzieren; er ist unsere Existenzgrundlage.» Und dabei erntet er spontan Applaus – und Zuspruch von einem älteren Ortstermin-Teilnehmer aus einem lärmgeplagten Ittiger Wohnquartier. «Es ist nach dem Ausbau auf 6 Spuren nur wenige Jahre gegangen, und die Autobahn war wieder ausgelastet. Ein weiterer Ausbau ist keine Lösung! Aber das Autofahren ist halt eine heilige Kuh – wir müssen uns als Gesellschaft bei der Nase nehmen.» Sagt es und fügt noch bei: «Ich habe selber ein Auto, aber ich stimme am 24. November gleichwohl NEIN.»

Box:

Kulturland-Verlust und Klima-Schädigung

Wegen des 8-Spur-Ausbaus der Grauholz-Autobahn würden entlang des knapp 6 km langen Teilstücks zwischen Bern-Wankdorf und Schönbühl rund 13 Hektaren Kulturland definitiv zerstört: davon mehr als 3 Hektaren besonders wertvolles, weil ackerfähiges Land, so genannte Fruchtfolgeflächen (FFF). Weitere 13 Hektaren FFF würden während der Bauzeit beansprucht. Diese Zahlen hat beim Ortstermin an der Grauholz-Autobahn der Zollikofner Grossrat Bruno Vanoni in Erinnerung gerufen. Als Vorstandsmitglied des Vereins Spurwechsel wies er auch darauf hin, dass auf 3,5 Hektaren Wald alle Bäume gefällt werden müssten. Die verlorenen Flächen könnten künftig auch keinen Beitrag mehr leisten, um CO2 im Boden zu speichern – die positive Funktion des Bodens fürs Klima ginge verloren.

Damit war der Bogen geschlagen vom Veranstaltungsthema Kulturland-Verlust zu einer anderen negativen Auswirkung des 8-Spur-Ausbauprojekts und des nachfolgenden 6-Spur-Ausbaus zwischen Schönbühl und Kirchberg (beides Teil der Abstimmungsvorlage vom 24. November): Der dadurch ermöglichte Mehrverkehr wird das Klima gemäss Abschätzungen des Berner Regierungsrats jährlich mit 5500 Tonnen CO2 zusätzlich belasten. Für den Ausbau würden zudem Unmengen von Material (Beton, Asphalt, Kies) herumtransportiert und verbraucht werden, und weil die bestehenden Autobahn-Fahrbahnen auch noch erneuert werden sollen, fallen ausserdem Unmengen von Asphalt-Abfall an. Die Folge: weitere CO2-Emissionen in fünfstelligen Tonnen-Zahlen. Und dies vor dem Hintergrund, dass der CO2-Ausstoss gemäss Bundesgesetzen und Kantonsverfassung eigentlich Jahr für Jahr drastisch reduziert werden sollte, bis auf Netto-Null spätestens im Jahr 2050.